Claudia Bösch möchte irgendwann einmal in einem grossen Bauernhof wohnen, in der Steiermark, in Österreich. Obwohl sie einst Gemüsegärtnerin gelernt hat, wird sie nicht in ihren alten Beruf zurückkehren. Nein, sie wird dort wohnen, arbeiten und Sommerkurse veranstalten. Doch das ist Zukunftsmusik, vorderhand arbeitet und unterrichtet die Künstlerin in ihrem Atelier in Oberdornach, wo sie mich empfängt.
Die Grundausbildung im Steinbildhauen erhielt sie von Margrit Leuthold in Wegenstetten, figürliche Bildhauerei lernte sie bei Stephan Grieder in Rünenberg und Mixed Media, Acryl-Mischtechnik bei Robert Süess in Dierikon. Mit dem Malen begann sie in schlaflosen Nächten in der Küche und fand durch autodidaktisches Schaffen Professionalität und ihren eigenen Stil. An den Atelierwänden hängen aktuelle Mixed Media-Arbeiten. Ausgangspunkt für Bösch-Art ist oft eine Landkarte. Man glaubt gar nicht, wie viele Karten es gibt, sagt sie, Karten für Piloten, Gewässerkarten, Karten, auf denen alle Tankstellen verzeichnet sind, Karten von Kontinenten mit Landesgrenzen, die längst ihren Verlauf geändert haben, Schnittmuster, Baupläne. Die Planlose liebt Pläne. Und Strukturen: Architektonische Muster, chemische Formeln,selber geschossene Fotos von Kopfsteinpflaster, Verputz, Moos auf einer Mauer, Baumrinde. Sie hat keinen Plan, wenn sie ein neues Werk in Angriff nimmt, nur einen Plan, den sie auf die Leinwand klebt und übermalt, und den sie, wenn er unsichtbar wird, mit Pauspapier wieder hervorholt.
Am Anfang steht immer auch eine Farbe oder stehen zwei Farben. Und dann beginnt die Arbeit, das Bändigen des Chaos, wie Claudia Bösch sagt. Oft können zwei Farben durch eine dritte versöhnt werden. Im Pinselglas entsteht eine Farbmischung, ein Dreckwasser, sagt die Künstlerin, das auch seinen Platz auf der Leinwand erhält. Es kann gut sein, dass die Anfangsfarbe auf dem fertigen Bild von anderen Farben übertüncht und gar nicht mehr zu sehen ist. Wenn die Künstlerin das Chaos im Griff hat, widmet sie sich den Details: Allerlei Sammelgut wird in die Bilder verarbeitet: Einsätze von Praliné-Schachteln, Reissverschlüsse, Teebeutel, Verpackungs-Chips. Diese verachteten und im Alltag kaum wahrgenommenen Materialien werden geschickt so verarbeitet, dass sie nicht mehr erkennbar sind und zu harmonisch eingebauten Schmuckstücken werden. Böschs Bilder können aus verschiedenen Distanzen verschieden gelesen werden. Aus der Entfernung wirken vor allem die Farben, aus der Nähe bestechen die Details. Das Auge des Betrachters wird durch grosse und kleine Hingucker angelockt und entdeckt mit der Zeit immer neue diskret verarbeitete Einzelheiten. Neben gekonnt inszenierten Abfallobjekten entdeckt man plötzlich ein wenig Blattgold oder einen winzigen Swarovski-Diamanten. Die Bilder entfalten so eine dreidimensionale Wirkung, die zum taktilen Erkunden verlockt. – Aber das Berühren ist streng verboten!
Auf manchen Bildern erscheint ein Menschenpaar. Figuren, die sich selbst und ihre gegenseitige Beziehung durch die Körperhaltung mitteilen. Die Köpfe der Figuren zeigen offene Flächen, auf die der Betrachter unwillkürlich oszilierende Gesichtsausdrücke projiziert. Ein ausgeführtes Gesicht würde zuviel festlegen, sagt die Künstlerin, und sie würde damit auch nie fertig. Offenheit und Leerstellen sind überhaupt ein wichtiges Element in ihrer Arbeit. Sie will nicht sich selbst und ihre Gefühle darstellen, sie will malen wie ein Kind, dessen Bild nie fertig wird und das mit seinem Bild wächst und sich entwickelt. Sie braucht viel Geduld zum Optimieren. Am liebsten sind mir die widerspenstigen Bilder, sagt sie, mit denen ich viel kämpfen musste.
Die meisten Bilder von Claudia Bösch sind mehrteilig, bilden Diptychen oder Triptychen. Die Erklärung der Künstlerin: Das Chaos lässt sich oft nicht auf einer einzigen Leinwand auflösen. Wenn die Bilder fertig sind, erhalten sie einen Rahmen und einen Namen, stimmig zum Bild, aber nicht einschränkend, eine Spielwiese für die Gedanken des Betrachters.
Jürg Seiberth 22.07.2015